Hostaenyali
Wie viele Erinnerungen kann ein Mensch in sich tragen ohne verrückt zu werden?
Ich weiß es nicht, denn ich bin kein Mensch. Doch ich trage Erinnerungen in mir, so viele, das ich schon lange aufgehört habe sie zu zählen.
Wir nennen uns die Hostaenyali, ihr würdet uns wohl als Erinnerungssammler bezeichnen, denn das tun wir, wir sammeln Erinnerungen, die ihr absichtlich vergesst oder die, die euch wie Nebel zwischen den Fingern zerrinnen. Die Guten und die Schlechten, die Kleinen und die Großen. Wenn einer von euch stirbt, dann sind wir da, denn keine Erinnerung darf verloren gehen.
Ich weiß nicht genau, wann das alles angefangen hat und wer uns befohlen hat eure Erinnerungen zu sammeln, das scheint selbst aus unseren Erinnerungen verschwunden zu sein. Doch wir machen unsere Arbeit, jeden Tag aufs Neue gehen wir hinaus und sammeln eure Erinnerungen, jeden Tag.
Es gibt nicht sehr viele von uns und eigentlich sehen wir uns auch nicht so häufig, denn wer auch immer uns geschaffen hat, hat uns zu Einzelgängern gemacht. Wenn wir uns auf der Straße treffen, nicken wir uns vielleicht kurz zu, doch meistens gehen wir einfach aneinander vorbei ohne uns zu beachten.
Wir kommen meistens nur in Kontakt, wenn wir ins Kontor gehen, das Lager der Erinnerungen. Jede Erinnerung muss genau kategorisiert und katalogisiert werden, damit sie zu jedem Zeitpunkt wieder gefunden werden kann. Sie werden mit allen Informationen in Prismen gespeichert und verstaut. Ich habe keine Ahnung, wer irgendwann auf diese ganzen Informationen zugreifen will oder ob es so jemanden überhaupt gibt. Doch mein Ausbilder würde sagen, dass mich das nichts angeht. Ihr wundert euch vielleicht, doch auch wir müssen lernen, wie die Erinnerungen gesammelt werden.
Die ersten Jahre meines Lebens dachte ich, ich wäre ein Mensch, denn auch wir werden geboren. Doch irgendein seltsamer Wink des Schicksals ließ mich nicht zu einem Menschen sondern zu einem Hostaenyali heranwachsen. Mit dreizehn beginnen wir zu fühlen, dass wir anders sind als andere. Eigentlich ist das nicht ganz richtig, denn wir wussten auch schon vorher, dass es da noch etwas anderes gibt.
In dieser Zeit tritt unser Ausbilder an uns heran und sagt uns was wir eigentlich schon wussten, das es für uns eine andere Aufgabe gibt. Nachdem uns erklärt wurde, wie Erinnerungen gesammelt werden, können wir die Theorie gleich in die Praxis umsetzen. Wir sammeln die Erinnerungen an uns von unserer Familie und allen die uns kennen, denn wir sind wie Geister, niemand darf von uns wissen. Dann wird uns das Ablagesystem des Kontors erklärt und was wir sonst noch darüber wissen müssen. Die letzte Handlung des Ausbilders ist, dir zu zeigen, wie du die Erinnerungen wieder aus deinem Kopf löschst. Dann wirst du deiner Wege geschickt und deine Ausbildung ist beendet. Wir haben so etwas wie einen integrierten Erinnerungsdetektor, der uns immer an den Ort führt, an dem eine Erinnerung zu sammeln ist.
So sieht mein Leben aus und an den meisten Tagen meiner Existenz halte ich diese Gabe eher für einen Fluch, wenn ich wieder einmal mitten in der Nacht schreiend aus einem Alptraum erwache. Denn ich bin nicht nur anders als ein Mensch, ich bin auch anders als die anderen Hostaenyali.
Ich kann nicht vergessen.
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