Dienstag, 13. Juni 2006

Gedanken

Gedanken rasen in meinem Kopf umher, während ich hier liege. Sie springen herum wie Tischtennisbälle und kommen mir mal nah und sind dann wieder so fern. Ich kann sie einfach nicht fassen, bin ihrem Verlauf hilflos ausgeliefert.
Fragen schießen durch meinen Kopf. Habe ich den Herd ausgemacht? Die Haustür abgeschlossen und den Müll raus gebracht? Die meisten kann ich beantworten und das beruhigt mich ein wenig.
Es kommt mir so vor als würde in meinem Kopf eine Checkliste ablaufen, die ich nacheinander abhaken muss. Die Katze gefüttert. Haken. Die Kinder zur Schule gebracht. Haken. Die Anzüge meines Mannes aus der Reinigung abgeholt. Haken.
So geht es noch eine Weile weiter und immer noch liege ich nur still da. Mein Blick ist verschleiert, doch das ist jetzt nicht wichtig. Die Liste läuft weiter in meinem Kopf ab, wird aber bald durch etwas anderes ersetzt.
Ich sehe meine Eltern vor mir, die lachend zu mir herab blicken und ich bemerke, dass ich noch ein Kind bin. Meine Arme strecken sich ihnen entgegen und ich fliege juchzend in die Arme meines Vaters. Die Erinnerung verschwimmt und wird durch eine andere ersetzt. Meine Mutter versetzt mir einen Klaps auf die Hand als ich aus der Teigschüssel naschen will. Lächelnd droht sie mir mit dem Finger, aber als sie nicht hinsieht nasche ich doch wieder vom Teig. Ich bin sechs Jahre alt.
Wieder ein Sprung, wieder eine andere Erinnerung. Mein 11. Geburtstag an dem ich meinen geliebten Hund Bobby von meinen Großeltern geschenkt bekommen habe. Lachend tolle ich mit ihm herum und wir wälzen uns, miteinander balgend, auf dem Rasen. Eine wundervolle Erinnerung.
Dann mein erster Kuss, bei dem mein Freund mir fast auf die Zunge gebissen hätte. Ich war 16. und er 17. Wir kicherten und machten dann lockerer weiter wo wir zuvor aufgehört hatten. Der erste Kuss ist wirklich etwas Besonderes.
Die Jahre fliegen dahin und laufen an mir vorbei. Mein 18. Geburtstag und die große Party im Garten. Der Führerschein und mein erstes Auto. Der Augenblick in dem ich meinen zukünftigen Mann zum ersten Mal sah. Ich glaube ich wusste sofort, dass da irgendetwas Besonderes zwischen uns war. Unser Hochzeitstag mit den vielen Gästen und den ganzen Glückwünschen für unsere Zukunft. Eigentlich hatte ich eine kleine Feier nur im engsten Kreis geplant, aber das war wohl unmöglich für uns.
Meine Schwangerschaft und wie sehr ich mich über diese Nachricht gefreut hatte. Auch die Komplikationen kommen mir wieder in den Sinn, doch das alle haben wir gemeistert. Als sie mir dann zum ersten Mal meinen Sohn in die Arme gelegt haben, waren alle Schmerzen und Sorgen wieder vergessen und auch mein Mann strahlte nur so vor Glück.
Wieder ein Sprung und ich erlebe einen weiteren schmerzlichen Moment in meinem Leben erneut. Die Fehlgeburt, die ich erlitten habe, als ich ein Jahr nach der Geburt meines Sohnes wieder schwanger geworden bin. Die Depressionen und die Mutlosigkeit, die ihr folgten. Doch auch davon bin ich wieder losgekommen, mit der Hilfe meiner Freunde und meiner Familie.
Die schönen Momente wechselten sich immer mit den schlimmen ab und lagen irgendwie in einem Gleichgewicht. Die Geburt meines zweiten Kindes, einem Mädchen, das ich mir schon so lange gewünscht hatte. Die Zukunft liegt strahlend vor mir und ich bin nicht alleine auf diesem Weg.
Bilder schießen mir durch den Kopf, von meinen Großeltern, die nun schon so lange tot sind. Meine Eltern blicken mich noch immer lächelnd an. Mein Mann, der mich lachend in seinen Armen hält und mir einen Kuss auf die Lippen drückt. Meine wundervollen Kinder, die vergnügt im Garten spielen und die Hauptrollen im Theaterstück der Schule haben.
Dann verschwimmen meine Gedanken wieder und lösen sich in einem riesigen Strudel auf. Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen, nur noch bruchstückhaft fließen Erinnerungen an mir vorbei.
Ein Auto rast durch meinen Kopf und kommt immer weiter auf mich zu. Ich schließe die Augen und höre nur noch den Knall und fühle wie ich durch die Luft fliege. Mein Körper landet auf dem Asphalt und mein Kopf schlägt krachend auf. Die Frühstücksflocken und die Milch für meine Kinder landen platschend neben mir auf der Straße und verteilen sich über mich.
Meine Sicht wird wieder klar und ich sehe Menschen um mich herum stehen. Ein Gedanke schießt durch meinen Kopf, die Ampel war doch grün und dann folgt gar nichts mehr.
Das Licht am Ende des Tunnels ist eine Lüge, denn wenn der Tod dich ereilt, folgt ihm nur noch Dunkelheit.

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